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Warum Ferrari 1972 trotz seiner Dominanz nicht zu le Mans antrat

Ferrari galt in der Sportwagen-Weltmeisterschaft 1972 als Favorit, verzichtete jedoch auf die Teilnahme bei Le Mans. Das Ferrari-Archiv verrät die Gründe
Text: Luca Giraldi

Manche Geschichten werden zu Legenden, andere wiederum überraschen auch Jahrzehnte später noch. In dieser Hinsicht ist das Ferrari-Archiv eine bemerkenswerte Fundgrube: ein Ort, an dem die Legende Maranello weiterlebt, mit interessanten Zeugnissen aus der Vergangenheit, die zurück ans Licht gelangen. So stößt man zum Beispiel plötzlich auf einen grauen Ordner, der von Hand mit rotem Stift mit den Worten „Pressemitteilungen 1972“ beschriftet ist. Darin finden sich Dutzende Seiten und Dokumente, von denen einige von Enzo Ferrari selbst in violetter Tinte – sein Markenzeichen – geschrieben wurden, die nun allmählich auf dem alten, vergilbten Papier verblasst. 

1972 war für Ferrari ein bedeutendes Jahr in der Sportwagen-Weltmeisterschaft: Der 312 P gewann alle zehn Rennen. Jeder Einsatz endete mit zwei Ferraris auf dem Podium: In acht Fällen belegte die Marke den ersten und zweiten Platz, in Monza sicherte sich das Team den ersten und dritten Platz. Der Höhepunkt folgte in Zeltweg, wo alle vier Ferraris die ersten vier Plätze belegten. Andretti und Ickx waren mit vier Siegen das Duo mit den meisten Siegen. Mit Regazzoni und Redman gewann der belgische Fahrer zudem noch zweimal. Redman siegte zweimal, das zweite Mal mit Merzario, der mit Munari auch einen Sieg bei der Targa Florio feierte. Doch in diesem unvergesslichen Jahr fiel ein Termin im Kalender durch seine Abwesenheit auf: das 24-Stunden-Rennen von Le Mans. 


Offizielle Dokumente verkünden Ferraris Rückzug aus Le Mans und klären die Namensgebung des 312 P

Um die Gründe dafür zu verstehen, müssen wir einen Schritt zurückgehen. 1972 änderte sich das Reglement der Sportwagen-Weltmeisterschaft. Damit endete die Ära der 5,0-Liter-Motoren, in der der 512 angetreten war. Stattdessen wurde eine neue Wertungsgruppe – die Gruppe 6 mit 3,0-Liter-Motoren – eingeführt. Der 312 P, an dem Ferrari ab 1970 arbeitete, hatte nur noch eine entfernte Ähnlichkeit mit dem 312 P von 1969 und wurde von Mauro Forghieris Team umfassend überarbeitet. So ersetzte unter anderem ein aus der Formel 1 stammender Zwölfzylinder-Boxermotor mit 3.000 ccm und 460 PS den V12-Motor des Vorgängermodells.

Diese technische Entwicklung führte zu einiger Verwirrung in der Presse, die begann, das Auto als „312 PB“ zu bezeichnen, um es vom Vorgängermodell zu unterscheiden – das „B“ war dabei eine Anspielung auf das 12-Zylinder-Boxer-Layout. Die Angelegenheit schlug derart große Wellen, dass Franco Gozzi, der damalige PR-Chef von Ferrari, eine offizielle Mitteilung an die italienische Presse herausgab – datiert auf den 25. Januar 1972 und im Archiv aufbewahrt. Darin stellte er klar, dass der Name des Prototyps 312/P und nicht 312/PB lautete, „da der Buchstabe B zur Bezeichnung von Ferrari 312-Autos aus der Formel 1 verwendet wird, von denen bereits die Modelle B1, B2 und der aktuelle B2/72 existieren und der B3 als Nachfolger in Planung ist.“ 

Mario Andretti (links) und Jacky Ickx erzielten 1972 gemeinsam die meisten Siege im 312 P

Der von Ferraris Formel-1-Motor abgeleitete Zwölfzylinder-Boxermotor lieferte Höchstleistungen auf kurzen Distanzen. Allerdings hatte er noch nie eine 24-Stunden-Simulation absolviert, was die Ingenieure von Ferrari mit Blick auf das bevorstehende Le Mans beunruhigte. Daher die Entscheidung, sich aus dem legendären französischen Rennen zurückzuziehen. „Ferrari wird nicht am bevorstehenden 24-Stunden-Rennen von Le Mans teilnehmen“, hieß es in der Pressemitteilung, die noch immer im Archiv aufbewahrt wird. „Diese Entscheidung beruht ausschließlich auf der Tatsache, dass das französische Rennen nicht in das technische und sportliche Programm des Ferrari 312 P integriert werden kann, dessen Fokus auf einer Sportwagen-Weltmeisterschaft mit 1000-km- oder Sechs-Stunden-Rennen liegt. Ferrari drückt den Motorsportfans und den Organisatoren von Le Mans sein Bedauern über diesen unumgänglichen Rückzug aus.“

Diese Neuigkeit sorgte natürlich für Aufsehen und löste zahlreiche Spekulationen aus – darunter Gerüchte, dass das werksunterstützte North American Racing Team (NART) einen 312 P einsetzen könnte. Erneut war es an Franco Gozzi, eine Klarstellung zu liefern. Diese finden wir ebenfalls im Archiv, datiert auf den 5. Juni 1972: „Zu den Berichten über den Einsatz eines Ferrari 312 P bei den 24 Stunden von Le Mans unter dem Banner von NART bestätigt Ferrari die am 31. Mai veröffentlichte Pressemitteilung und betont, dass keines der sieben gebauten Exemplare des 312 P Boxer verkauft oder verliehen wurde.“ Trotz der Nichtteilnahme in Le Mans bleibt die Saison 1972 des 312 P eine der stärksten in der Motorsportgeschichte – und die diesbezüglichen Dokumente, die im Ferrari-Archiv aufbewahrt werden, gehören zu den faszinierendsten und spannendsten überhaupt.